Wèilái Zhu [Schrottsammler]

Auch wenn man es dem munter durch das Ödland streifenden Redwing heute nicht glauben mag, wenn er (mal wieder...) davon erzählt, so ist er doch inmitten einer relativ gut situierten Shi-Familie im Herzen San Franciscos aufgewachsen. Dort verbrachte er seine Kindheit unter den Fittichen seines strengen, aber herzlichen Vaters und behütet von seiner findigen Mutter. In jener Zeit zu Beginn seines Lebens bekam der junge Wèílái von seinen Eltern die in der heutigen Zeit doch schon etwas rarer gewordene Kunst von Lesen und Schreiben vermittelt. Tradition in der Familie Zhu war es nämlich, so ziemlich jedes Ereignis der Familiengeschichte niederzuschreiben und sich seine Herkunft stets im Hinterkopf zu behalten. Ob das nun daran lag, dass der Stammbaum der Zhus irgendwo beim Quartiermeister des chinesischen U-Bootes seinen Ursprung hatte oder von einem anderen Zufall herrührte, das sei jetzt mal dahin gestellt. Jedenfalls erhielt Redwing sogar schulische Bildung und las mit Begeisterung sowohl in alten Büchern als auch in den dicken Familienchroniken, aus welchen er jedes Ereignis – ob nun von großer Bedeutung oder schlichtweg der Speiseplan zum Neujahrstag – interessiert aufsaugte. Auf diese Weise lernte der heutige Schrottsammler viel über die Welt, wie sie damals gesehen wurde und was nach der nuklearen Apokalypse passiert sein mag – wenn man den Aufzeichnungen glauben schenken mag.

Irgendwo und irgendwann, diese Details lässt Wèilái in seinen Erzählungen gern mal aus, fiel dem mittlerweile zum Jugendlichen herangereiften Shi ein besonderes Buch in die Hände – es war eine alte, vergilbte Kopie eines chinesischen Parteibuchs, wie es damals so ziemlich jeder Matrose an Bord des U-Boots besessen haben muss. Die meisten Überlebenden hatten wohl genug von dem System, dass die Welt in den Abgrund getrieben hatten und es schlichtweg entsorgt, aber starre Ideologien sind nun mal wie Unkraut: Einfach nicht tot zu kriegen. So nahm also auch Wèilái die alten kommunistischen Ideale in sich auf und sah in ihnen eine vielversprechende, wenn auch verbesserungswürdige Möglichkeit, das harte und letztlich doch auch irgendwo sinnfreie Leben im postapokalyptischen Ödland besser zu gestalten.

Darum entschloss er sich auch, kaum 18 Jahre alt geworden, das behütete Paradies San Francisco zu verlassen und hinaus in die weite Welt zu ziehen, sie auf Spuren der alten Zeiten zu untersuchen und bei Gelegenheit den Ödländern das Dasein ein wenig zu verbessern – nicht immer mit Freude eben jener Ödländer über die „Hilfe“. Auf seinen Reisen entwickelte sich Redwing zu einem findigen Schrottsammler, der sich sogar sein eigenes Transportgefährt - eine Art „Auto“, aufgebaut aus dem Gestell eines ausgeschlachteten und schrottreifen Pickups mit einem großen Holzofen auf der alten Ladefläche und einem Speicher im nunmehr leeren Motorraum – zusammengeschustert hat. Auch wenn er bei seinen Trips durch die Wildnis etwas paranoid und schrullig geworden sein mag, so vertritt er auch noch nach reichlich vier Jahren mit großer Leidenschaft seine Ansichten und scheut sich auch nicht, sie – ob nun schriftlich oder mündlich – genauso engagiert unters Volk zu bringen wie den vielfältigen Schrott, den er von seinen Reisen mitbringt. Mit dem werden auch seine Eltern immer wieder überhäuft, wenn er sie – die Ehre gebietet es so – das ein oder andere Mal in San Francisco besucht.